Odessa Star: Roman (German Edition) by Herman Koch

Odessa Star: Roman (German Edition) by Herman Koch

Autor:Herman Koch [Koch, Herman]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783462307238
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2013-11-06T23:00:00+00:00


Nathalie wollte widersprechen, aber ich war noch nicht fertig mit meiner Geschichte. Sie war schon schlimm genug, aber nur halb erzählt womöglich noch schlimmer.

»Ich habe keine Ahnung, worauf die Hässlichkeit der Belgier zurückzuführen ist«, sagte ich, ohne Luft zu holen, damit sie mich nicht unterbrechen konnte, »aber die Ursache liegt zweifellos in etwas Unverzeihlichem. Ich meine, seht euch doch um, zuerst dachte ich, wir haben es mit lauter Alten zu tun, aber sie sind höchstens ein paar Jahre älter als wir. Als Christine und ich, meine ich. Dafür müssen sie sich schämen, ja. Dass sie offensichtlich ein Leben geführt haben, das sie mit fünfzig aussehen lässt, als würden sie schon mit einem Bein im Grab stehen.«

Meine Frau starrte mich an, ihr Mund klappte sogar ein wenig auf. Dann nahm sie einen ordentlichen Schluck und warf das Haar zurück. »Nun«, sagte sie zu Nathalie. »Da hat dir mein Mann ja mal gründlich die Augen geöffnet.«

Nathalie biss sich auf die Lippen. »Ich weiß nicht …«, fing sie an; sie hatte auf einmal feuchte Augen, an den unteren Augenrändern hatten sich kleine, tauähnliche Tropfen gebildet. »Ich finde das alles so schrecklich zynisch, Herr Moorman. Sie reden ja über diese Menschen, als wären sie missgebildet, obwohl Sie doch gar nicht wissen können, was für ein Leben sie geführt haben. Vielleicht haben sie ja viel zu schwer arbeiten müssen, oder vielleicht wohnen sie in Gebieten mit viel Industrie und Luftverschmutzung, davon gibt es viele in Belgien.«

Ich blickte in ihre tränenfeuchten Augen und wusste auf einmal nicht mehr, worauf ich hinauswollte. Um uns herum schwatzten die Belgier, dass es eine Art hatte, die meisten hatten sich schon mehr als einmal mit Nachschub versorgt. Sie schienen bester Stimmung. Wenn Nathalie einfach gesagt hätte: Warum dürfen hässliche Menschen sich nicht amüsieren? hätte ich ihr lachend zugestimmt, aber sie hatte »Industrie« und »Luftverschmutzung« ins Spiel gebracht. Wahrscheinlich schlug ihr Herz für die »Umwelt« im Allgemeinen, zog ich das deprimierende Fazit. Zweifellos war ihr Kopf voll von »antirassistischen« und »antiglobalistischen« Ansichten, waren »Imperialismus« und »multinationale Unternehmen« die Bösewichte, durfte man in ihrer Weltanschauung Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen oder sie dafür zur Verantwortung ziehen, weil die Schuld ja bei anderen lag. Schade um so ein liebes Mädchen, durchfuhr es mich, und ganz kurz fühlte ich jetzt selber etwas hinter meinen Augenlidern brennen.

»Du hast recht«, sagte ich zu Nathalie, die noch immer betrübt dreinschaute. Sie guckte wie ein Hund in einem Tierasyl, den niemand haben will, das heißt eigentlich mehr wie ein Hund in einem Film, der ganz allein den weiten Weg zurück nach Hause sucht. Ich wandte den Blick ab.

»Es ist natürlich vollkommen unwichtig«, sagte ich und schob den Teller mit meinem Nudelsalat von mir. »Ich werde mal gucken, ob ich noch etwas Anständiges auftreiben kann.«

Ich ging zu dem Teil des Büfetts, der am wenigsten belagert wurde. Als ich mich umblickte, sah ich, wie mein Sohn den Arm um Nathalie legte; sie drückte eine Serviette an die Augen.

»Nehmen Sie sich noch was?«, fragte ein zwergenhafter Herr in einem braun-gelb karierten Pullover und legte mir die Hand auf den Arm.



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